Ein Ausweg aus politischen Zwängen?
Der Arbeitskreis für Hausmusik und die Kasseler Musiktage
Kurz nach der Machtübernahme 1933 setzten Maßnahmen zur Gleichschaltung der Musikantengilde und des Finkensteiner Bundes ein. Trotz ihrer Unterschiede in Bezug auf Ursprünge, Ziele, Ausrichtung und Organisation wurde nun beiden gleichermaßen nahegelegt, sich in den Reichsbund Volkstum und Heimat einzugliedern. Herbert Just erinnert sich, dass bereits im Frühjahr die Gespräche begannen:
„Im Frühjahr 1933 lud der Leiter des neugegründeten ‚Reichsbundes Volkstum und Heimat‘ Werner Haverbeck die Vertreter kultureller Jugendorganisationen in Berlin ein. […] Herr Haverbeck – in SA-Uniform – verlangte unter Berufung auf die Gleichschaltungsbefehle der NSDAP die Auflösung des Finkensteiner Bundes und der Musikantengilde bzw. ihre Eingliederung in den Reichsbund Volkstum und Heimat unter Aufgabe jeder Selbständigkeit. Für die Musikantengilde habe ich erklärt, dass eine formelle Auflösung nicht möglich sei, da sie keine feste Organisationsform, e.V. oder dergl. habe, sondern nur ein menschlich und sachlich verbundener Kreis von Einzelpersönlichkeiten sei. Die Zeitschrift ‚Die Musikantengilde‘ bzw. ‚Musik und Gesellschaft‘ hatte ihr Erscheinen schon eingestellt.“[*]
Ein eingetragener Verein bestand hingegen für den Finkensteiner Bund, der nun wie die Mitglieder der Musikantengilde in den Reichsbund Volkstum und Heimat überging. Auch die Zeitschriften beider Vereinigungen wurden gleichgeschaltet; so wurde die „Singgemeinde“ unter dem neuen Namen „Musik und Volk“ vom Reichsbund übernommen und sollte nun beide Vereinigungen vertreten. Zur Namensgebung merkt Karl Vötterle an: „Der Name dieser Zeitschrift wurde auf Vorschlag von Richard Baum schon längst vor Bestehen des Reichsbundes für die Fortführung der ‚Singgemeinde‘ beschlossen.“[*]
Herbert Just war selbst in die Schriftleitung eingebunden und schildert, dass die gemeinschaftliche Tätigkeit nicht lange funktioniert hat:
„Damit beide Zweige in der Schriftleitung mitwirken konnten, wurden als Schriftleiter Bernhard v. Peinen und Dr. Herbert Just bestellt. Diese Zusammenarbeit dauerte aber nur kurze Zeit. Da Herr v. Peinen unter Zusammenarbeit verstand, dass ich guthiess, was er tat, und für keinerlei Kritik zugänglich war, legte ich schon nach zwei Heften die Mitarbeit nieder. Der ‚Reichsbund Volkstum und Heimat‘ hatte auch kein langes Leben. Meiner Erinnerung nach hat er das Jahr 1933 nicht überdauert. Er stand den Ambitionen der Deutschen Arbeitsfront bzw. der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude in Wege und wurde kurzerhand aufgelöst bzw. in KdF eingegliedert.“[*]
In der ersten Ausgabe der Zeitschrift wird auf die Vorgeschichte Bezug genommen. So danken die Schriftleiter im Nachwort den Leitern der Vorgängerzeitschriften „Die Singgemeinde“ und „Der Kreis“, Konrad Ameln und Fritz Jöde, dass sie „durch ihre jahrelange Arbeit den Einsatz der Volksmusikarbeit im neuen Staat vorbereitet haben“. Gleichzeitig betonten sie, dass die neue Zeitschrift alle unter einem Dach versammeln will:
„‚Musik und Volk‘ ist mehr als nur Sprachrohr des Reichsfachamtes für Volksmusik, will darüberhinaus Organ und Sammelpunkt all der Kräfte sein, die sich in der deutschen Musikbewegung zusammengefunden haben und deren Ursprung und Ziele im vorliegenden Heft des Näheren dargestellt werden.“[*]
Allerdings war der Finkensteiner Bund nicht einfach nur in den Reichsbund Volkstum und Heimat übergegangen, sondern hatte sich gleichzeitig auch neu aufgestellt: Karl Vötterle und Richard Baum gründeten 1933 mit dem „Arbeitskreis für Hausmusik“ in Kassel eine neue Vereinigung, die als Weiterführung des Finkensteiner Bundes gedacht war und zahlreiche der früheren Mitglieder wieder vereinte. Interessanterweise gelang hier auch eine Vereinigung der ehemals konkurrierenden Kreise: Im Arbeitskreis für Hausmusik wurden sowohl Ehemalige des Finkensteiner Bundes als auch der Musikantengilde Mitglieder und gestalteten später entsprechend gemeinsam auch Veranstaltungen.
Karl Vötterle beschreibt die Gründung als Konsequenz aus der „Zwangslage“ der drohenden Gleichschaltung und hebt hervor, dass der Arbeitskreis ein Ausweg aus politischen Zwängen war; die Gründung sei eine „glatte Umgehung der Parteirichtlinien“ gewesen, „gegen die aber nichts eingewendet werden konnte, weil Schweizer, Holländer und Schweden daran beteiligt waren.“[*] Herbert Just erklärt diese Sonderstellung etwas genauer, die durch mehrere Mitglieder im Ausland gegeben war und die verhinderte, dass der Verein unter das Gleichschaltungsgesetz fiel:
„Offiziell wurde dieser Schritt damit begründet, dass der Finkensteiner Bund zahlreiche Mitglieder im Ausland – insbesondere in Böhmen und der Schweiz – gehabt habe, die in den ‚Reichsbund Volkstum und Heimat‘ nicht aufgenommen werden konnten, sodass eine Nachfolgeorganisation für den Finkensteiner Bund für diese ausländischen Mitglieder geschaffen werden müsse. Trotzdem wurde der AfH mit Argwohn betrachtet.“[*]
Ein Problem war auch der Name des neuen Vereins: Hausmusik war ebenfalls ein Referat in der Fachschaft der Musikerzieher in der Reichsmusikkammer, für das eben jener Herbert Just zuständig war. Just hatte in diesem Rahmen eine „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Hausmusik“ gegründet, die vor allem den alljährlich seit 1932 stattfindenden „Tag der Hausmusik“ organisierte. „Das Nebeneinander zweier Organisationen mit fast gleichlautendem Namen war dem Geschäftsführer der Reichsmusikkammer Herrn Ihlert ein Dorn im Auge“, so Just,
„und er legte mir wiederholt dringend nahe, für eine Auflösung des AfH zu sorgen. Ich habe dann stets auf die ausländischen Mitglieder des AfH hingewiesen und betont, dass in Kassel die Zusammenarbeit zwischen der Fachschaft III und dem AfH – auch beim Tag der Hausmusik – sehr gut sei. Mit dieser Begründung bin ich beim Präsidenten der RMK Prof. Dr. Peter Raabe auch durchgedrungen, und der AfH ist von der Reichsmusikkammer aus unbehelligt geblieben.“[*]
Der Arbeitskreis für Hausmusik machte die „Zeitschrift für Hausmusik“ zu seinem Organ, die wiederum aus „Collegium musicum“ hervorgegangen war. „Collegium musicum“ war im Jahr 1932 als Beilage zur Zeitschrift „Die Singgemeinde“ begründet worden. Thematisch war in diesen „Blättern zur Pflege d. Haus- u. Kammermusik“ das Feld der späteren „Zeitschrift für Hausmusik“ bereits abgesteckt, die Umbenennung erfolgte Mitte 1933, mit dem Zusatz „im Auftrag des Arbeitskreises für Hausmusik“. Neben der titelgebenden Hausmusik war ein thematischer Schwerpunkt, der sich in Veranstaltungen wie Publikationen niederschlug, zudem die Kirchenmusik. Die direkte personelle Anbindung an den Bärenreiter Verlag durch dessen Leiter Karl Vötterle sorgte für eine entsprechende Verschmelzung der programmatischen Inhalte. Mit dem Bärenreiter-Verlag wurde zudem auch die Schütz-Renaissance in Kassel vorangetrieben.
Neben Singwochen und einzelnen anderen Veranstaltungen trat der Arbeitskreis für Hausmusik vor allem als Veranstalter der Kasseler Musiktage hervor, bereits im Herbst 1933 wurden die ersten Musiktage durchgeführt. Vorrangig wurde auch hier die Haus- und Laienmusik propagiert, wie eine Ankündigung für die Musiktage 1934 verdeutlicht:
„Die Kasseler Musiktage sind Ausdruck einer musikalischen Gesinnung, die durch Förderung der Hausmusik und Verbreitung entsprechenden Sing- und Spielgutes die Verwurzelung der Musik im Leben des Menschen als Kern einer echten Musikpflege zu erreichen sucht. An diesen Tagen werden Werke, die in ihrer Art besonders geeignet sind, dem häuslichen, wie dem gemeinschaftlichen und kirchlichen Musizieren neuen Ansporn zu geben, in stilgemäßer Besetzung vorbildlich ausgeführt.“[*]
Auch hier spielt neben der „Gebrauchsmusik“ für Haus und Gemeinschaft die Kirchenmusik eine wichtige Rolle, bis hin zu musikalischen Gottesdiensten. Zu dem hohen kirchenmusikalischen Anteil kommt die Einbeziehung zeitgenössischer Komponisten hinzu, so ist beispielsweise mehrfach Hugo Distler als Komponist und Interpret vertreten. Im Jahr 1935 wird u.a. eine Aufführung seines Konzerts für Cembalo von dem Rezensenten Walter Blankenburg hoch gelobt.[*]
Dem Prinzip der Hausmusik wurde auch in der räumlichen Planung Rechnung getragen, so betonte man bei den Musiktagen im Jahr 1935, dass die hausmusikalischen Konzerte in kleine Räume gelegt wurden und für ein kleines Publikum gedacht seien. Eine Besonderheit in diesem Jahr war zudem die Einbindung von Instrumentenbauern als Planer der Programmzusammenstellungen bzw. Mitwirkende: „Träger dieser Stunden sind größtenteils Instrumentenbauer, die damit unter Beweis stellen, daß sie mit dem auch wirklich verwachsen sind, wofür sie letzten Endes arbeiten. Ist doch der Instrumentenbauer ebenso Gestalter an der Musik, wie der nachschaffende Musiker.“[*] Namentlich finden sich in den Programmen: Günther Hellwig (Gamben), Gebr. Ammer (Spinette und Cembali), Hell-Werkstatt (Kurzhalsgeige, Zink), Wilhelm Herwig (Blockflöten), Hans Jordan (Violen und Gamben), Neupert (Cembalo) und Eugen Sprenger (Geige, Gambe), Peter Harlan (Laute, Gitarre, Klavichord, Hammerklavier) und die Werkstatt Hans E. Hoesch (Hammerklaviere). Karl Vötterle nutzte diese Verbindung zu einer Würdigung der präsentierten Instrumente in ihrer idealen Eignung für Haus- und Laienmusik:
„Diese Instrumente, besonders die Blockflöten und Gamben, ermöglichen auch dem Vielbeschäftigten und dem weniger begüterten Musikfreund von heute den Zugang zu unerhörten Schätzen einer echten Laienmusik, denn sie sind spieltechnisch so beschaffen, daß man schon nach kurzer Zeit wenigstens zu eigener Freude spielen kann und das Glück eines Gedanken sammelnden und nervenberuhigenden Spieles erlebt. Mit der eigenen Stimme zum Zusammenklang einer schönen Musik trotz seines bescheidenen Könnens beitragen zu können, macht all denen besondere Freude, die bisher mit einer mehr oder weniger vom Konzertleben bezogenen Literatur vergebliche Versuche gemacht haben. Von dem bescheidenen Anfang und von dem Zusammenspiel aus werden dann strebsame Musikfreunde ganz von selbst den Weg zum Üben finden, den jeder – auch auf diesen Instrumenten – gehen muß, der eine überdurchschnittliche Leistung erzielen will. Das sind die Zusammenhänge, die den Bärenreiter-Verlag veranlassen, ganz besonders für diese Instrumente einzutreten. Demselben Ziel diente auch unsere Hausmusikstunde im Bärenkeller.“[*]
Mit Beginn des Krieges 1939 konnten die Kasseler Musiktage vorerst nicht mehr weitergeführt werden. Erst Anfang der 1950er Jahre erfolgte eine Wiederbelebung des Festivals. Auch der Arbeitskreis für Hausmusik musste sich nach 1945 neu organisieren, doch den Beteiligten war schnell klar, dass es weitergehen müsse. Der erste Nachkriegs-Rundbrief Richard Poppes berichtet von dieser Zusammenkunft:
„Anfang April [1946] kamen Richard Baum, Kurt Baumgärtner, Werner Gneist, Wilhelm Hopfmüller, Richard Poppe, Ernst Schieber, Annemarie Viebig und Karl Vötterle in Ludwigsburg zusammen und haben beschlossen, dass der AfH in gleicher Weise wie bisher weitergeführt wird und daß die Sing- und Spielkreise, soweit sie sich zu Volkslied und Choral als Grundelementen aller Musikarbeit bekennen, in einem zu gründenden ‚Verband der Sing- und Spielkreise‘ zusammengefaßt werden.“[*]
(af)