Hermann Schütt
1988-1973
[Nachlass in AdJb A 228]
Hermann Schütt stammte aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Gemüsebauer im südöstlich von Hamburg gelegenen Neuengamme, wo Schütt am 3. Februar 1888 geboren wurde. Mit den Stadtteilen Altengamme, Curslack und Kirchwerder bildete Neuengamme die „Vierlande“ (heute zu Bergedorf gehörend). Dass Hermann Schütt tief in den Vierlanden verwurzelt war, belegt seine ausführliche Beschäftigung mit der Region und ihrer Kultur noch in späteren Jahren (siehe AdJb A 228 Nr. 955-957 und 1072). Nach seiner Schulzeit in Neuengamme und Bergedorf besuchte Schütt die Präparandenanstalt Oldesloe und das Lehrerseminar in Ratzeburg (1906-1909). Er beendete seine Ausbildung in Hamburg, wo er die Abschlussprüfungen ablegte und 1913 fest in den Schuldienst übernommen wurde. Parallel war Schütt als Organist an der Hauptkirche St. Petri (Mönckebergstraße) tätig.
Zu Beginn des 1. Weltkriegs leistete Hermann Schütt Kriegsdienst, wurde aber schon bald als nur „garnisonsdienstfähig“ eingestuft und trat wieder in den Schuldienst. Ab 1917 war er an der Winterhuder Realschule am Stadtpark tätig, aus der 1920 die „Lichtwarkschule“ wurde, die in den ersten Jahren unter Leitung des Reformpädagogen Peter Petersen stand. Schütt gestaltete die Arbeit der Lichtwarkschule bis zu ihrer Schließung 1937 maßgeblich mit, er entwickelte den musikalischen Lehrplan, leitete die musikalischen Gruppen der Schule und war ein sehr beliebter Lehrer. Die liebevolle Bezeichung „Pappi Schütt“ macht dies deutlich, und sie kennzeichnet zugleich den Geist der Gemeinschaft zwischen Schülern und Lehrern, der die Schule prägte.
Die Lichtwarkschule – benannt nach dem ersten Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark – machte sich zum Ziel, den Schüler in seiner ganzen Persönlichkeit zu fördern. Sport und Musik wurde ein großer Stellenwert zugemessen.
„Wir wollen ja nun eine deutsche Kulturschule aufbauen. Damit übernimmt der Lehrkörper die Verpflichtung, die so arg mißhandelte Musik in ihre Rechte einzusetzen, sie zu einem wichtigen Faktor im Schulleben auszugestalten“
– mit diesen Worten umreißt Schütt in einer handschriftlich überlieferten Abhandlung „Zur Musikpflege in unserer Schule“ aus der Frühzeit der Lichtwarkschule die einzuschlagende Richtung.[*] Hermann Schütts Musikunterricht blieb nicht auf das typische Schulsingen beschränkt. „Ich fasse nun den Klassenunterricht nicht als Nur-Gesangsunterricht auf, Musikunterricht wäre richtiger gesagt!“, formuliert er in der eben erwähnten Ausarbeitung. Schütt orientierte sich an den Ideen der Jugendmusikbewegung (insbesondere an Fritz Jöde). Konkret hieß dies vor allem, dass neben Volks- und Wanderliedern auch ältere polyphone Musik und neue Kompositionen (z.B. Igor Strawinsky, Gerhard Maasz) Bestandteil des Unterrichts waren. Die Programme der Schulaufführungen zeigen mit Namen wie Kurt Weill („Der Jasager“) und Paul Hindemith („Wir bauen eine Stadt“) ebenfalls die Öffnung zur zeitgenössischen Musik.[*] Ab Mitte der 1920er Jahre kam es auch zur direkten Zusammenarbeit mit Fritz Jöde durch die Mitwirkung eines Kinderchors von Hermann Schütt in Rundfunksendungen Jödes (siehe auch AdJb A 228 Nr. 1166). Schütt war in diesen Jahren Leiter der Hamburger Volksmusikschule.
Schriftliches hat Hermann Schütt, anders als viele prägende Musikpädagogen der Zeit, wenig hinterlassen. Selbstironisch nimmt er seine Abneigung gegen das Theoretisieren in dem oben erwähnten Entwurf seines Beitrags für die Elternzeitung der Lichtwarkschule aufs Korn, indem er dessen Vorgeschichte an den Anfang des Artikels stellt:
„Schütt, in der nächsten Nummer der Elternzeitung sollen Sie uns Ihre Absichten verraten. Die ganze Nummer steht Ihnen zur Verfügung.“ – „Ich... schreiben? Um Gotteswillen! Gebt mir ein Orchester, einen Chor, setzt mich ans Klavier, auf die Orgelbank! Aber schreiben oder gar reden...? Ne, Kinnings, damit verschont mich bitte!“ – „Aber Sie müssen, Schütt, Sie müssen wirklich [...]“[*]
Schütts reges Interesse an moderner Musikpädagogik ist nicht zuletzt in einigen ausführlichen Briefen an den Hamburger Schulrat von einer Deutschlandreise 1926 dokumentiert, die ihn unter anderem mit Verfechtern des Eitzschen Tonwortes in Kontakt brachte. Lebendige Berichte über die Arbeit von Frank Bennedik und Adolf Strube in Halberstadt und Harsleben, über die Musikarbeit in Bieberstein (Höckner/Pfannenstiel) oder über eine Besprechung mit Karl Thiel und Leo Kestenberg in Berlin zeigen Schütts Einbindung in die zeitgenössische Musikpädagogik bei einem ganz unprätentiösen persönlichen Zugriff auf die Dinge. Die bemerkenswerten Briefe Schütts an den Schulrat spiegeln ein offenes Beobachten wider, aber auch eine starke Skepsis gegenüber starren Methoden. So erfährt etwa das Eitzsche Tonwort eine sehr negative Beurteilung: „Tag und Nacht geht‘s jetzt in meinem Kopf herum ‚pa-fe-to‘, ‚gu-su‘, ‚ni-bi‘. Das Tonwortgeplärre hat mich vergiftet [...] Mit keiner Methode kann man die Kinder so quälen, wie mit Eitz“ (AdJb A 228 Nr. 1072).
Mit der Machtübernahme der NSDAP wurde die Situation der als „rot“ verschrienen Lichtwarkschule schwierig. Ein parteitreuer Schulleiter wurde bereits 1933 eingesetzt, etliche Kollegen mussten die Schule verlassen, 1937 wurde sie schließlich ganz aufgelöst. Hermann Schütt unterrichtete anschließend am humanistischen Wilhelm-Gymnasium in der Moorweidenstraße. Eine Schülerzeitung der Klasse 8d lässt erkennen, dass „Pappi Schütt“ – so wurde er auch hier genannt – sich erneut großer Beliebtheit erfreute (siehe AdJb A 228 Nr. 1072); dankbare Feldpostbriefe ehemaliger Schüler dokumentieren dies noch eindrücklicher (siehe A 228 Nr. 1065). Von 1941 bis zum Kriegsende war Schütt an der Walddörferschule in Volksdorf tätig. Aus den Kriegsjahren stammt auch seine Musik zu „Kinder in aller Welt“ von Reinhold Harten, einer „Völkerschau für die Schule“ (siehe AdJb A 228 Nr. 436, 439, 954, 960).
Trotz seiner NSDAP-Parteizugehörigkeit konnte Schütt schon ab 1946 in der Lehrerausbildung tätig sein. Dass der 1933 abgesetzte Schulleiter der Lichtwarkschule, Heinrich Landahl, als Schulsenator mit dem Wiederaufbau des Hamburger Schulwesens betraut war, spielte hier eine entscheidende Rolle. Die Lehrerausbildung trat ab 1950 dann ins Zentrum der letzten Berufsjahre Schütts: Er wurde als Professor an die Hamburger Hochschule für Musik berufen und leitete hier das Seminar für Schulmusikerzieher bis zu seiner Pensionierung 1954. Auch darüber hinaus übernahm er noch Lehraufträge an der Hochschule.
Zahlreiche Kompositionen der verschiedensten Gattungen aus Schütts Feder sind im Nachlass überliefert. Seine Geburtstage veranlassten wiederum Weggefährten bzw. Schüler zum Komponieren: So entstand zu seinen Ehren etwa ein Instrumentalsatz „H.S.C.H.“ von Ernst Koster, der sich zusammen mit zwei Werken von Felicitas Kukuck und anderen Beiträgen in einem handgeschriebenen Heft von Schülern der Lichtwarkschule zum 60. Geburtstag Schütts findet (AdJb A 228 Nr. 953) – mehr als 10 Jahre nach Schließung der Schule. Auch Gerhard Grimpe komponierte eine Fuge im Bach-Stil über die Initialen Schütts zu dessen 65. Geburtstag 1953 (Thema h'- es''- c'' - h', AdJb A 228 Nr. 960).
(ub)