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Gottfried Wolters

1910-1989

[Nachlass siehe AdJb N 168 und in AdJb A 228]

Ein Mann steht an einem Klavier
Gottfried Wolters in einer Probensituation um 1950 (AdJb A 228 Nr. 5966).

Der Chorpädagoge, Singleiter, Chordirigent, Lektor, Herausgeber und Komponist Gottfried Wolters hat mit seinem Schaffen zahlreiche Impulse setzen können und das deutsche und internationale Musikleben geprägt, nicht zuletzt als Initiator europäischer Gemeinschaftsprojekte. 

Das Ende der Studienzeit von Gottfried Wolters fiel mit dem Machtantritt der NSDAP zusammen. 1933 arbeitete er als Doktorand von Ernst Bücken in Köln an einer Doktorarbeit über Johann Vanhals Sinfonien. In einem laufenden Institutskonflikt um Ernst Bücken setzte er sich aktiv für seinen Doktorvater ein und wurde in einem anschließenden Verfahren vom Institutsleiter für kurze Zeit vom Institut ausgeschlossen. Die Dissertation hat er nicht mehr eingereicht. Im Anschluss war Gottfried Wolters kurzzeitig als Musikkritiker tätig, arbeitete als Lektor für den Kölner Tonger-Verlag und begann freiberuflich zu komponieren. Auch erste Chorleitertätigkeiten fallen in diese Zeit, u.a. als Oberscharführer der HJ. Nach seiner Einberufung wurde er 1941 zum Leiter einer Singeleiterschule der Kriegsmarine ernannt. Dass Wolters anfangs der nationalsozialistischen Ideologie durchaus nahe stand, erläutert Albrecht Dümling:

„Auf Adolf Hitler setzte er damals große Hoffnungen. ‚Wir haben ihn gefunden, den Führer aus der Not‘, heißt es in einem HJ-Lied, das Wolters 1934 komponierte. Verse von dem als ‚Homer der SA‘ gepriesenen Lyriker Herybert Menzel verwendete er 1936 für seine noch im gleichen Jahr im Kölner Gürzenich aufgeführte Kantate ‚Marsch ins Jahrtausend‘, die mit dem Titellied ‚Männer werden und Kolonnen fallen‘ den Heldentod fürs Tausendjährige Reich pries. […] Wenn er auch gegen die Verfemung Paul Hindemiths protestierte, so war das doch keine prinzipielle Opposition gegen den Nationalsozialismus.“[*] 

Demgegenüber wird auch berichtet, wie er in den letzten Kriegsjahren in seinen Lehrgängen eine ablehnende Haltung gegenüber dem Regime offen zu verstehen gab.[*] Seine Aktivitäten nach 1945 zeigen eine bewusste Neuorientierung, da er sich mit seinen Chorfestivals und Singwochen für Verständigung innerhalb Europas eingesetzt hat, und gewissermaßen die Musik im Sinne einer Sprache des Friedens ausübte (s.u.). Auch seine Hinwendung zu bestimmten Komponisten wie Hugo Distler ist vor diesem Hintergrund zu bewerten.

Ein Mann in Uniform
Gottfried Wolters in Uniform (AdJb A 228 Nr. 4074).

Wolters‘ Tätigkeit bei der Kriegsmarine legte den Grundstein für seine spätere intensive Chorarbeit und seinen Einsatz in Singwochen und Kursen – zumal er in dieser Zeit zum ersten Mal Fritz Jöde, Walther Hensel, Willi Träder und anderen Akteuren der Jugendmusikbewegung begegnete. Dies resümiert er selbst:

„In Berlin lernte ich die Spielschar unter dem unvergesslichen Willi Träder kennen – mit hervorragenden Leistungen. Dort hörte ich den ersten Mörike-Distler! Als Marine-Angehöriger hatte ich besonderen Bezug zum norddeutschen Raum, zu Hamburg. Das führte zu einer Begegnung (und Sendung) mit der Hamburger Rundfunk-Spielschar unter Heinrich Schumann. […] Schließlich will ich nicht vergessen, dass ich während des Krieges Begegnungen mit Wolfgang Stumme und Hans Baumann hatte – späte, sehr eindrucksvolle Begegnungen, die zu bleibenden menschlichen Bindungen geführt haben.“[*]

Nach dem Krieg kehrte er 1945 aus englischer Gefangenschaft zurück und begann bereits 1946 seine Lektoratstätigkeit für den Möseler-Verlag, die er über mehrere Jahrzehnte freiberuflich fortgesetzt hat. Als Lektor führte die intensive Zusammenarbeit mit den Komponisten zu einigen persönlichen Verbindungen, z.B. mit Felicitas Kukuck (AdJb N 168 Nr. 103) und Hans Baumann (AdJb N 168 Nr. 99 und 100). Aus der erneuten Zusammenarbeit mit Fritz Jöde resultierte 1947 die gemeinsame Neugründung der Musikantengilde in Hamburg. Durch seine Initiativen hatte Wolters Anteil an ihrer Umstrukturierung, die sich in Namensänderungen niederschlug (über Arbeitskreis Junge Musik zu Arbeitskreis Musik in der Jugend). Wolters war einige Jahre im Beirat des Bundesvorstandes, und 1954-1959 einer von drei Vorsitzenden sowie 1964-1970 alleiniger Bundesvorsitzender des Arbeitskreises. 

Drei Männer im Gespräch
Wolters (links) mit Fritz Jöde und Wilhelm Twittenhoff, um 1950 (AdJb A 228 Nr. 4075).

Ende der 1940er Jahre begann Wolters wieder mit Lehrgängen und Singwochenenden, aus denen sich in Hamburg ein fester Kreis von Sängerinnen und Sängern entwickelte, der schließlich 1950 „Norddeutscher Singkreis“ genannt wurde. Wolters verlieh diesem Chor einen ganz unverkennbaren Charakter und arbeitete mit Enthusiasmus am hohen sängerischen Niveau. In ihrem Nachruf auf Wolters hebt Lore Auerbach hervor: „Gottfried Wolters Norddeutscher Singkreis erfüllte jahrelang eine Leitbildfunktion für das Chorsingen in Literatur und Stil. Die heutigen Spitzenchöre der Deutschen Laienmusik sind alle direkt oder indirekt davon geprägt.“[*] Eine Intensivierung der Chorarbeit war auch deshalb möglich geworden, da Wolters 1950 an die Hamburger Musikhochschule berufen worden war und seinen Lebensmittelpunkt in die Hansestadt verlagerte (allerdings endete seine Tätigkeit dort schon 1952 nach einer Auseinandersetzung mit dem Hochschuldirektor Philip Jarnach).

Bei der Singarbeit hatte Wolters zwar das Vorbild Jödes vor Augen: „Jöde, das war der Mann, der viele (möglichst alle?) Menschen zur Musik führen wollte – über das Singen! Das bewunderte ich – denn etwas Ähnliches wollte ich […] auch, freilich nicht so sehr in aller Breite und mehr auf der Suche nach handwerklich fundierter Leistung“, aber distanzierte sich gleichermaßen von ihm durch seinen eigenen Weg zu mehr Professionalität: „Wieviel Sorge bereitete ihm [Jöde] mein Abtreiben ins fast ‚Professionelle‘ – aber ich wollte aus dem üblichen Dilettantismus des Laienmusizierens heraus, wo er mich vielleicht ins ‚Elitäre‘ abschwimmen sah.“[*] Wolters muss eine große Begabung in der Chorleitung, ein besonderes Gespür für sängerische Feinheiten und jeweils ganz persönliche Stärken der Einzelnen gehabt haben, wie aus zahlreichen Erinnerungen hervorgeht.

Der Norddeutsche Singkreis singt Felicitas Kukuck

Mit dem Norddeutschen Singkreis widmete sich Gottfried Wolters vielfach zeitgenössischer Musik. Eine besonders enge Beziehung bestand zu der Komponistin Felicitas Kukuck, deren „Mariä Verkündigung“ hier zu hören ist, aus einer Sendung des SFB II aus dem Jahr 1961 (AdJb A 228 Nr. 3367).

Von Kerlen wollen wir singen

Mit seinen Rundfunk-Singstunden, wie vor allem der Reihe „Das singende Jahr“, konnte Gottfried Wolters ein breites Publikum begeistern. Hier ein Ausschnitt aus der Sendung „Von Kerlen wollen wir singen“ (AdJb A 228 Nr. 3424).

Mit seinem Repertoire setzte der „Norddeutsche Singkreis“ neue Akzente, denn in der Programmgestaltung lagen die Schwerpunkte sowohl auf alter Musik, u.a. von Monteverdi, Schütz, Josquin, Palestrina, Buxtehude, als auch auf zeitgenössischen, der Jugendmusikbewegung nahe stehenden Komponistinnen und Komponisten wie z.B. Felicitas Kukuck, Günter Bialas, Heinz Lau, Ernst Pepping oder Jens Rohwer, teilweise in Verbindung mit Uraufführungen. Vor allem standen immer wieder Werke von Hugo Distler im Zentrum (s.o.). Zu besonderen Höhepunkten zählen sicherlich eine Aufführung von Carl Orffs „Catulli Carmina“ vor dem Komponisten selbst sowie ein Privatkonzert für Paul Hindemith, beides im Jahr 1954.

Schon vor der Namensgebung nahm der Chor Konzerte für den Rundfunk auf, später wurden Aufnahmen und Sendungen für den Rundfunk ein fester Bestandteil der Chorarbeit. Unter anderem nahm Wolters die 1927 von Jöde begonnene Tradition der Rundfunksingstunden auf. Zu den wichtigsten Sendungen zählt die Sendereihe „Das Singende Jahr“, die vor allem in den Jahren 1951 bis 1954 vom NWDR ausgestrahlt wurde. Die Sendungen waren mit Offenen Singen verknüpft, in denen Wolters mit seiner persönlichen Ausstrahlung und enthusiastischen musikalischen Arbeit regelmäßig eine Vielzahl von Sängerinnen und Sängern begeistern konnte. Parallel gab Wolters im Möseler-Verlag die gleichnamige Liedblattreihe heraus, die sich großer Beliebtheit erfreute (erwähnt werden 30.000 Abonnenten), so erinnert sich auch Lore Auerbach: „Die Liedblattreihe ‚Das Singende Jahr‘ stellte neues Liedgut und Lieder aus dem europäischen Erbe zur Verfügung. Nur wer diese Zeit miterlebt hat, kann ermessen, wie begierig wir damals auf die neuen Quartalsfolgen warteten!“[*]

Gottfried Wolters dirigiert bei den 4. Choralies de Vaison-la-Romaine im Jahr 1962 (AdJb A 228 Nr. 1749).

Ausgehend von seiner Arbeit in Offenen Singen, in denen Wolters nicht nur auf Volkslieder beschränkt blieb, sondern auch an differenziertere Chormusik heranführen konnte (mit Bachschen Passionen zum Mitsingen für alle begründete er eine neue Art des musikalischen Erlebens), erweiterte er nach 1960 seine Tätigkeit auf eine internationale Ebene. Durch eine enge Freundschaft mit César Geoffray bekam er Kontakt zur französischen Chorszene und war mehrfach bei Veranstaltungen der Chorbewegung „A Coeur Joie“ zu Gast. Wolters engagierte sich für die Organisation internationaler Chorfeste und gehörte zu den Initiatoren der Europäischen Föderation Junger Chöre. Im Jahr 1961 fand das Chorfest „Europa Cantat“ zum ersten Mal in Passau statt; die Einbindung von Offenen Singen in das Gesamtprogramm geht auf Wolters zurück, der diese Großveranstaltungen für hunderte Singbegeisterte aus ganz Europa über Jahre hinweg durch seinen eigenen Charakter prägte. Marcel Corneloup, Chorleiter und Mitgestalter der französischen Chorbewegung, betont den europäischen Geist dieser internationalen Begegnungen:

„Wir haben deutlich das Gefühl, daß sich während einer solchen Stunde ein europäisches Bewußtsein gebildet hat. […] Mit Gottfried Wolters haben wir gelernt, daß unser Europa sich so schaffen läßt: niemals Leichtfertigkeit, weder im Repertoire noch in der Ausführung. Alles soll uns dahin bringen, das Höchste zu erlangen.“[*]

1968 gab Wolters die Leitung des Norddeutschen Singkreises auf und wandte sich vermehrt Lehrgängen zu. Zu einer jährlich wiederkehrenden Institution wurden die Chor- und Instrumentalwochen in Hinterschmiding. Außerdem war er auch zunehmend mit Lehrgängen im Ausland aktiv, u.a. in Frankreich, Belgien, den Niederlande, Dänemark, Norwegen und Österreich.

In seinen Lehrgängen und Singwochen prägte Gottfried Wolters auch eine nachfolgende Generation von Chorleitern (AdJb A 228 Nr. 5965).

Als Herausgeber war Wolters bis an sein Lebensende tätig. Einige seiner Veröffentlichungen, wie die schon erwähnte Liedblattreihe „Das Singende Jahr“, standen in direktem Zusammenhang mit seiner eigenen Chortätigkeit. Dazu gehörten neben der Edition von Monteverdis „Marienvesper“ auch Ausgaben mit Werken von Bach, Gabrieli, Brahms, Lasso, Carissimi, Schütz u.a. Am „Chorbuch Romantik“ arbeitete er in seinen letzten Lebensjahren, es erschien posthum 1990. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Herausgebertätigkeit waren Lieder- und Chorbücher für die Schule. Insbesondere die 1962 bis 1971 erschienene fünfbändige Reihe „ars musica“, die Volkslieder sowie weltliche und geistliche Chorsätze umfasst, erfuhr große Verbreitung. Zu den Inhalten eines seiner Liederbücher gab es allerdings einen kritischen Disput: Das von Wolters (mit Renate Krokisius) 1963 herausgegebene Liederbuch für die Mittel- und Oberstufe „Singende Schule, Bd. II“ wurde in ersten Gutachten stark kritisiert, u.a. wurde der Vorwurf einer Einbeziehung von Liedgut der HJ gemacht.

Eine wesentliche Errungenschaft von Gottfried Wolters war es, das Laienmusizieren auf ein höheres Niveau zu bringen. Insbesondere seine Tätigkeit als Chor- und Singwochenleiter war einflussreich für nachfolgende Generationen, da aus seinem Chor, seinen zahlreichen Lehrgängen und Chorwochen viele Musikpädagogen, Chorleiter und Musiker hervorgegangen sind, die seine Ideen und musikalischen Vorstellungen weitergetragen haben. Ebenso prägend war seine länderübergreifende Tätigkeit, die den Gedanken einer europäischen Gemeinschaft schon früh auf der Ebene der Musik auf den Weg brachte, gleichzeitig auch Aufführungsformen wie das Offene Singen in andere Länder trug und dort neue Ausprägungen hervorbrachte. 

(af)

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